Innovation & Arbeit
Himmel und Eis
© Eskwad Wild Touch, Luc Jacquet
14.12.2022
Artikel zum Hören 07:30 Min.
Lesedauer ca. 6 :00 Min.
14.12.2022
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Zwischen Himmel und Eis – die Lebensgeschichte des Claude Lorius

Nachhaltigkeit ist heute mehr als nur ein Modewort. Es ist mittlerweile klar, dass sich der Klimawandel nur mit einem nachhaltigen Umgang mit den Ressourcen und der Natur selbst verlangsamen oder gar aufhalten lässt. Manchmal liegt die Lösung für ein aktuelles Problem in der Vergangenheit. 800.000 Jahre um genau zu sein. Hier beginnt die spannende Geschichte des Franzosen Claude Lorius, der mit seinen Studien die Klimawissenschaft bis heute maßgeblich prägt. 

Die Liebe von Claud Lorius zur Antarktis beginnt im Jahr 1955. Als
 Studenten für eine Forschungsexpedition in die
 Antarktis gesucht werden und es heißt „Voraussetzungen: eine ausgezeichnete körperliche Verfassung und eine gewisse Abenteuerlust“ meldet
 er sich sofort.
 Mitten im Studium der Geologie macht er sich auf den Weg, um ein Jahr in der Antarktis zu überwintern – ohne die Möglichkeit auf Rückkehr oder Beistand. Was Lorius in diesem Moment noch nicht ahnt: Es wird nicht seine einzige Expedition ins Südpolarmeer bleiben. 21 weitere werden folgen. Und machen aus dem Geologie-Studenten den Experten in Sachen Eisforschung.

Whisky on the Rocks

Der 90-jährige Claude Lorius zusammen mit Filmemacher Luc Jaquet während der Dreharbeiten zur Dokumentation „Zwischen Himmel und Eis“. Wie kein anderer hat Lorius mit seinen Forschungen maßgeblich dazu beigetragen, die Auswirkungen des Menschen auf das Klima zu verstehen. © Marc_Perrey

Whisky on the Rocks

Der Moment, der sein Leben grundlegend verändern wird, ist ein Abend mit den anderen Forschern an der Bar der bescheidenen Unterkunft im weißen Nirgendwo. „Ich sah plötzlich in meinem Whisky, wie die Eisklötzchen durch die Wärme zerbrachen und Luftbläschen freisetzten“, erinnert sich der heute 90-Jährige. „Mir wurde schlagartig klar: Diese Luftbläschen sind einzigartige und zuverlässige Zeugnisse für die Zusammensetzung der Luft.“ Er schmunzelt und fährt fort „In den Jahren nach diesem Drink haben wir zunächst meine These aufgestellt und sie dann nach und nach bewiesen.“ Mitte der 1950er Jahre war diese Entdeckung unter Forschern eine Sensation. Vor allem gestandene Fachleute wollten Lorius erst einmal nicht folgen. Doch Lorius liegt richtig und bleibt seiner Linie treu. Auf dem wissenschaftlichen Neuland der Eisforschung hat der junge Mann wichtige Zusammenhänge erkannt. Und zwar, dass jede Luftblase, die im Eis der Pole eingeschlossen ist, eine Probe der Atmosphäre der Zeit ist, in der sie eingeschlossen wurde. Mit anderen Worten: In tieferen Sphären enthält das Eis die Luft, die unsere Vorfahren geatmet haben. Und je tiefer man in das Eis bohrt, desto weiter reist man in der Zeit zurück.

Eingefrorene Beweise für den Klimawandel

Ein Bild von Lorius‘ erster Expedition in die Arktis im Jahre 1955. Bis heute sind 21 weitere dazugekommen. © Eskwad Wild Touch, CNRS Fonds, Claude_Lorius

Eingefrorene Beweise für den Klimawandel

Lorius‘ Entdeckungen führten zu weiteren Expeditionen ins ewige Eis. Mit dabei: Bohrgeräte, die man eher von Ölbohrungen her kennt. Bereits die ersten Bohrungen bestätigen Lorius‘ Thesen. Damit ist sein Ehrgeiz erst recht geweckt. Er treibt die Bohrungen immer weiter und erreicht schließlich Schichten, die rund 800.000 Jahre in die Vergangenheit zurückführen. Doch Lorius gefällt nicht, was er bei seinen Studien erkennt. Denn er entdeckt den Ursprung der klimatischen Erwärmung und den Einfluss des Menschen auf unseren Planeten. Eine Erkenntnis, die ihn zum Vorreiter in Sachen Erderwärmung und Klimawandel macht. Sein Leben lang versucht er daher, das Bewusstsein für die Gefahren zu schärfen, denen der Planet durch die Menschheit ausgesetzt ist. Aber allzu oft stößt er auf Schweigen, Unverständnis, Verweigerung und auf politischen Druck. Die Zeit scheint für eine solche Erkenntnis einfach noch nicht reif genug.

Der Wissenschaft weit voraus

Der Wissenschaft weit voraus

Heute, mehr als 60 Jahre nach Lorius’ Entdeckungen, gibt es keine Zweifel mehr an seinen Aussagen. Viele Wissenschaftler haben seine Theorien bestätigt, die Natur selbst zeigt leider an vielen Stellen, wie sehr er recht hatte. Vielleicht zum letzten Mal meldet sich Lorius selbst zu Wort. In dem Dokumentarfilm „Zwischen Himmel und Eis“ des Oscar-gekrönten Filmemacher Luc Jaquet (unter anderem für „Die Reise der Pinguine“) . Er erzählt von einer anthropogen verankerten Welt, von dieser neuen Ära, in der der Mensch die Macht ergriffen hat und die Ökologie und den klimatischen Weltmarkt beherrscht. Den roten Faden in diesem preisgekrönten Film liefert in erster Linie eine Fülle an Archivmaterial. In den alten Filmen mit der so charakteristischen Körnung treffen wir auf den damals noch jungen Forscher Lorius, der mit einer Expedition in der weißen Wüste forscht. Die Geschichte der Glaziologie schmückt sich mit ihren Gesichtern und mit außergewöhnlichen Landschaften und Emotionen. Diese Bilder vermischen sich mit denen eines Mannes, der 60 Jahre nachdem er den Eiskontinent zum ersten Mal betreten hat, in die Antarktis und somit in seine Vergangenheit zurückkehrt. Diese Zeitreise prägt sein Gesicht mit einem neuen, viel ernsteren Ausdruck. Man findet darin aber auch die Bewunderung, die der erneute Kontakt mit diesem geheimen Universum immer noch auslöst, das sein Leben lang seine große Leidenschaft war. Im Südpolarmeer besucht Lorius seine Vergangenheit, sein Lebenswerk, fragt aber auch nach dem Platz des Menschen in unserer Welt. Und während der Bericht voranschreitet, sehen wir Lorius heute in den verschiedenen Teilen der Welt, dort, wo die Vorhersagen der Wissenschaftler eingetroffen sind. Die Naturgewalten, die durch den fortschreitenden Klimawandel aktiv geworden sind, bringen ihre ganze Kraft zum Ausdruck.

Claude Lorius – ein Prophet?

Claude Lorius dort, wo er am liebsten ist – in der Antarktis. © Eskwad Wild Touch

Claude Lorius – ein Prophet?

Alle Prognosen von Claude Lorius sind eingetreten. Dennoch ist Lorius für den Filmemacher Luc Jacquet kein Prophet im herkömmlichen Sinne, sondern eher ein Visionär. „In Lorius’ drei historischen Berichten, die 1985 in dem Magazin „Nature“ veröffentlicht wurden, zeigt er unwiderlegbar die Verbindung von Mensch und Klima und den emittierten Treibhausgasen. Damit öffnet sich die Tür zu einer neuen, besseren Wissenschaft, die es erlaubt, Dinge vorauszusagen und auf globaler Ebene Alarm zu schlagen“, so der Filmemacher. Tatsächlich verlässt sich Lorius im Laufe seiner Karriere häufig auf seine Intuition. Seine Kollegen sagen, dass Claude nie eine falsche wissenschaftliche Entscheidung getroffen habe, denn ein Mann wie Lorius ergreife nie das Wort, bevor etwas nicht wissenschaftlich bewiesen sei.

Lorius’ Leben ist die Geschichte eines Mannes auf der Suche nach dem Unsichtbaren. Sein Leben ist so, weil er die Schneeflocke sieht und sie wichtig nimmt. Lorius weiß am Anfang nicht, was er entdecken wird. Er hätte genauso gut nichts finden können. Aber er hatte von Anfang an die Gabe, in die richtige Richtung zu gehen. Lorius’ Forschung war zweckfrei und verfolgte kein bestimmtes Ziel. Zu Beginn hat sich Claude Lorius nur gefragt, warum es in der Antarktis so kalt ist! Aber vielleicht ist es genau das, was einen großen Forscher und einen großen Vordenker ausmacht – die einfachen Fragen zu stellen und die komplizierten Antworten zu finden.

DVD-Tipp: Wir haben Claude Lorius‘ Leben in nur gut 1.000 Wörtern eingefangen. Regisseur Luc Jaquets Film „Zwischen Himmel und Eis“ zeigt in gut 90 Minuten noch viel mehr von diesem außergewöhnlichen Forscher und seinem Einsatz für die fragile Schönheit der Antarktis. Eine sehenswerte Dokumentation!

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Zwischen Himmel und Eis
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