Weiße Flecken entfernen
Seit der Frühzeit beschäftigt die Menschheit eine drängende Frage: Wie komme ich von A nach B? Zwar haben Kartografen und Satelliten die Erde von oben bis unten erforscht und vermessen – alle weißen Flecken sind aber trotzdem noch nicht ganz verschwunden. Warum das so ist, erklärt Navigationsexperte Prof. Dr. Thomas Hobiger.
Was haben eine Berufspendlerin und ein Handelskapitän aus der Antike gemeinsam? Beide beschäftigen beziehungsweise beschäftigten sich im Großen und Ganzen mit denselben drei Fragen: Wo bin ich? Wo ist mein Ziel? Und wie komme ich am besten dort hin? Während der Kapitän noch ausschließlich in Küstennähe segelte, um nicht auf offener See die Orientierung zu verlieren, setzt sich die Pendlerin dank Smartphone und Satellitentechnologie heute ohne jede Vorbereitung in ihren Wagen und lässt sich eine Wegstrecke auf die Fahrminute genau ausrechnen.
Seit der Frühzeit hat sich bei der Navigationstechnik also einiges getan. Sind nun alle weißen Flecken auf der Weltkarte enttarnt? „Nein“, sagt Prof. Dr. Thomas Hobiger, Leiter des Instituts für Navigation der Universität Stuttgart. Zwar werden keine neuen Kontinente mehr aufgestöbert, dennoch gebe es stets neue Räume, durch die Menschen navigieren müssen.
Zuerst das Militär, dann der Rest
Zuerst das Militär, dann der Rest
Das hat dem Wissenschaftler zufolge einen simplen Grund: „Der Treiber für neue Navigationstechniken waren stets kriegerische Auseinandersetzungen.“ Die Navigation habe immer dann einen Sprung gemacht, wenn es Konflikte gab. „Denn Schlachten können nur erfolgreich geführt werden, wenn man weiß, wo die Truppen des Gegners und die eigenen stehen und wie man sie am besten bewegt.“Um das sicherzustellen, gab es durchaus pfiffige Umsetzungen. So zeigte bereits im antiken China ein sogenannter Kompasswagen in Scharmützeln die Stoßrichtung an. Für die Invasion verfeindeter Inselstaaten im Pazifik kamen entsprechende Karten des Gebiets zum Einsatz, auf denen gefährliche Meeresströmungen eingezeichnet waren. Echolot und Radar resultierten aus den zwei Weltkriegen des 20. Jahrhunderts. Auch das Global Positioning System (GPS), eine der größten modernen Errungenschaften der Navigation, ist zunächst als militärisches Projekt an den Start gegangen. Erst später hielt es Einzug in unser aller Leben, beispielsweise in Form von Autonavigationsgeräten. Kurz: Die zivile Nutzung derartiger Techniken hinkte der militärischen immer etwas hinterher. Und so ist es der kriegerischen Natur des Menschen zu verdanken, dass im Laufe der Jahrhunderte die unbekannten Flächen des Erdballs immer kleiner geworden sind.
Handelsroute wird berechnet
Handelsroute wird berechnet
Doch nicht nur militärische, sondern auch wirtschaftliche Beweggründe haben die Navigation immer wieder auf ein neues Level gehoben. „Bekannte Entdecker wie Kolumbus haben nicht aus purem Interesse den kürzesten Seeweg nach Indien gesucht, vielmehr standen dahinter ganz klar wirtschaftliche Interessen“, räumt Hobiger ein. Der Kampf um die besten Handelsrouten verbesserte auch die Navigationstechniken. Nautische Geräte wie der Sextant verfeinerten die Praxis, sich an der Sonne und dem Sternenhimmel zu orientieren. Mit dem Chronometer konnte ab dem 18. Jahrhundert die Zeit besonders genau gemessen werden – und damit auch die eigene Geschwindigkeit sowie die bereits zurückgelegte Wegstrecke, was das Navigieren auf hoher See genauer machte.Spätestens mit dem Siegeszug der Satellitennavigation sollten aber alle Routen, Abkürzungen und Wege übers Erdenrund bekannt sein, oder? „Mitnichten“, sagt der Forscher. Denn Satelliten fangen zwar im Großen und Ganzen alles ein, die Details bleiben aber unbekannt. „Je genauer wir die Erde vermessen, desto mehr blinde Flecken tun sich in unserer Wahrnehmung auf. Wir kennen natürlich die Umgebung im Sinne der klassischen Landkarte, aber diese Maßstäbe decken bei weitem nicht das ab, was wir heutzutage brauchen“, so der Experte. Zwar habe man längst entschlüsselt, wie man von Punkt A zu Punkt B kommt, aber sich stets weiter entwickelnde Fortbewegungsmittel seien auf immer genauere Navigationsdaten angewiesen.
So können moderne Satellitendaten beispielsweise die Position eines fahrenden Autos auf etwa zehn Meter genau bestimmen. Das ist völlig ausreichend, um sich mithilfe einem Navigationssystem während des normalen Fahrens auf der Straße zurechtzufinden. Für kommende Mobilitätstrends wie zum Beispiel das autonome Fahren sei das aber noch viel zu ungenau. „Damit man mit einem selbstständig fahrenden Wagen an einer engen Baustelle oder in einem Tunnel nicht in die Bredouille kommt, ist eine Messgenauigkeit erforderlich, die wir aus technologischer Sicht noch gar nicht erreicht haben“, so Hobiger. Werden die Daten jemals endgültig gut genug sein? Davon ist nicht auszugehen, denn es sind die neuen Technologien, die immer größere und detailliertere Datenmengen erfordern. Selbst wenn die Welt ausgemessen ist für führerlose Pkw und Lkw – was ist mit Drohnen und Flugtaxis? Für diese Vehikel muss die Navigation nicht mehr nur zweidimensional über die Erdoberfläche gedacht werden, sondern dreidimensional durch den Luftraum. Und da gibt es Antennen, Schornsteine, Berge und noch viel mehr, die bislang bei der Streckenplanung wenig Beachtung finden musste.
Es bleibt also noch viel zu tun. Und so wird die Entwicklung der Navigation auf absehbare Zeit kein Ende finden. Denn ungeachtet davon, ob die Navigation per Kompass, Karte oder Satellitensignal geplant wird, ist bereits jetzt klar: weiße Flecken werden wohl nie ganz verschwinden.
Dieser Artikel könnte Sie ebenfalls interessieren:
Hat der Navigationssatellit immer recht? Ob man aufs Navi hören und bei stockendem Autobahnverkehr abfahren sollte, lesen Sie in unseren Stau-Tipps.