Schwergewichte am Draht: In Zukunft fahren auch Lkw unter Strom
Ein 40-Tonner, der nicht mit brummendem Diesel über die Autobahn fährt, sondern leise und sauber durch die Landschaft gleitet – elektrisch angetrieben mit Strom aus der Oberleitung. Keine Utopie mehr, sondern Realität – zumindest auf den öffentlichen Teststrecken in Deutschland. Der weltweit erste batterieelektrische Lkw mit nachgerüstetem Pantographensystem, einer Art Stromabnehmer, fährt heute durch Deutschland und könnte einen wichtigen Baustein für den Güterverkehr von morgen stellen. Und das Beste daran? Er lädt sich während der Fahrt selbst auf. Klingt nach Science-Fiction? Willkommen in der Zukunft des Schwerlastverkehrs.
Aufladen während der Fahrt – wie bitte?
Aufladen während der Fahrt – wie bitte?
Das Konzept ist so einfach wie genial: Der Lkw hat – genau wie Elektroautos – eine Batterie, die ihn mit Energie versorgt. Wenn er in der Spedition parkt, wird diese Batterie über die Ladesäule geladen. Der große Vorteil ist aber das Laden während der Fahrt an Oberleitungen. Die sollen perspektivisch über Autobahnen oder Bundesstraßen installiert werden. Der Stromabnehmer – der Pantograph – nimmt die elektrische Energie aus der Leitung auf und führt sie dem Fahrzeug zu. Das Ergebnis: Der Lkw wird während der Fahrt mit Strom versorgt und lädt gleichzeitig seine Batterie für Streckenabschnitte, auf denen keine Oberleitung vorhanden ist. Damit einher geht auch eine Reichweitenvergrößerung, ohne dass der Lkw irgendwo zum Laden stoppen müsste.Wer sich jetzt an Straßenbahnen oder Züge erinnert fühlt, liegt richtig. Die Technik ist nicht neu, wurde aber in Aachen für den Schwerlastverkehr weiterentwickelt und angepasst. Der Unterschied: Während Straßenbahnen und Züge an Schienen gebunden sind, bleibt der Lkw flexibel und kann sich bei Bedarf von der Stromquelle trennen und mit Batterien weiterfahren. Ein kleiner Klapps des Stromabnehmers, und schon ist die Verbindung zur Oberleitung gelöst – der Lkw fährt weiter wie ein herkömmliches Elektrofahrzeug. Dabei profitiert er von den Vorteilen beider Systeme: Der Reichweite eines Elektrofahrzeugs und der direkten Stromversorgung aus der Oberleitung.
Klimaneutral unterwegs – das Ende des Dieselzeitalters?
Klimaneutral unterwegs – das Ende des Dieselzeitalters?
Der Verkehrssektor gehört weltweit zu den größten Verursachern von CO₂-Emissionen. Vor allem der Schwerlastverkehr mit seinen Millionen von Diesel-Lkw belastet die Umwelt enorm. Prof. Dr. Lutz Eckstein, Leiter des Instituts für Kraftfahrzeuge (ika) der RWTH Aachen, fasst es zusammen: „Schwere Nutzfahrzeuge sind für mehr als 25 Prozent der Treibhausgasemissionen des Verkehrs verantwortlich. Wir erforschen daher hier am Institut vielfältige Lösungsansätze zur Dekarbonisierung des Güterverkehrs, unter anderem das dynamische Laden während der Fahrt.“ Ein wichtiges Thema. Denn obwohl es immer mehr Bestrebungen gibt, auch große Fahrzeuge zu elektrifizieren, sind die Herausforderungen enorm. Denn noch haben batteriebetriebene Lkw eine begrenzte Reichweite und benötigen lange Ladezeiten – beides ist im harten Alltag des Güterverkehrs nicht praktikabel. Ein Lkw, der stundenlang auf dem Rastplatz steht und lädt? Undenkbar.Genau hier setzt das Stromabnehmersystem an. Statt auf riesige Batterien und endlose Ladezeiten zu setzen, nutzt das System bestehende Technologien, um das Fahrzeug während der Fahrt mit Strom zu versorgen. So fährt der Lkw nicht nur elektrisch, sondern kann – anders als viele Konkurrenzmodelle – praktisch ununterbrochen im Einsatz bleiben. Während die Batterie bisheriger E-Lkw nach 300 bis 400 Kilometern schlapp macht, könnte der E-Lkw mit Pantograph lange Strecken ohne größere Ladepausen zurücklegen. Gordon Witham, Gruppenleiter Elektrische Antriebe am ika sieht hier auch einen weiteren Vorteil. „Auch mit Blick in die Zukunft, insbesondere auf das automatisierte Fahren, bietet die Oberleitung Vorteile für den unterbrechungsfreien Fahrbetrieb, da kein Anhalten zum Laden mehr erforderlich ist“, so der Forscher.
Ziel ist es, den Schwerlastverkehr nicht nur klimafreundlicher, sondern auch effizienter zu machen. Studien zeigen, dass der Einsatz von Oberleitungen für Lkw den CO₂-Ausstoß drastisch reduzieren könnte.
Aber nicht nur die Umwelt profitiert von dieser Technologie. Auch für die Betreiber von Logistikunternehmen ergeben sich erhebliche Vorteile. Die in den letzten Jahren stark gestiegenen Dieselpreise könnten langfristig der Vergangenheit angehören. Strom ist in vielen Regionen günstiger und kann nachhaltig erzeugt werden. Und wer jetzt denkt, dass es noch ewig dauern wird, bis dieses System flächendeckend zum Einsatz kommt, der sollte genauer hinsehen: Erste Pilotprojekte auf deutschen Straßen laufen bereits.
Infrastruktur und Kosten – was kommt auf uns zu?
Infrastruktur und Kosten – was kommt auf uns zu?
Natürlich gibt es Herausforderungen bei der Einführung eines solchen Systems. Oberleitungen über Autobahnen spannen – das klingt nach einem gigantischen Infrastrukturprojekt, das mit erheblichen Kosten verbunden ist. Tatsächlich werden solche Streckenabschnitte auf ausgewählten Teststrecken in Deutschland bereits genutzt, doch bis zu einem großflächigen Einsatz ist es noch ein weiter Weg. Die Kosten für den Ausbau der notwendigen Infrastruktur rechnen sich insbesondere auf stark befahrenen Strecken. Es bedarf nicht nur die Unterstützung der Politik, sondern auch die Bereitschaft der Transportbranche, in diese Technologie zu investieren.Eine weitere Frage: Was passiert mit den Lkw, die nicht über diese Technologie verfügen? Die Antwort ist einfach: Sie fahren weiter wie bisher. Das Stromabnehmersystem erlaubt bisherigen E-Lkw als zusätzliche Möglichkeit das Laden auch während der Fahrt für klimafreundlichen Transport. Vor allem auf stark befahrenen Strecken, die ohnehin hohe Emissionen verursachen, könnte der Einsatz von Oberleitungen eine nennenswerte Entlastung für die Umwelt bedeuten.
Langfristig könnte das System auch international ausgebaut werden. Andere europäische Länder wie Schweden erproben ähnliche Technologien, auch die Niederlande. Dort sollen von Rotterdam aus auf zwei Strecken mit hohem Lkw-Aufkommen insgesamt rund 280 Kilometer Autobahn elektrifiziert werden. Und perspektivisch könnte ein europaweites Oberleitungsnetz den Güterverkehr dann grenzüberschreitend elektrifizieren. Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Es braucht Zeit, Investitionen und vor allem den politischen Willen, um solche Großprojekte zu realisieren. Aber die ersten Schritte sind getan und die Tests in Deutschland zeigen, dass die Technologie funktioniert.
Die Großen an Bord?
Die Großen an Bord?
Die Entwicklung solcher Systeme erfordert nicht nur technisches Know-how, sondern auch die Zusammenarbeit mit den Großen der Verkehrsbranche. Hersteller wie Scania arbeiten seit Jahren an Lösungen für den elektrifizierten Straßenverkehr, und auch Automobilkonzerne wie Volvo oder Mercedes-Benz haben angekündigt, verstärkt in die Forschung und Entwicklung von Elektro-Lkw zu investieren. Dabei geht es nicht nur um den Einsatz von Batterien, sondern auch um alternative Antriebssysteme, die Wasserstoff nutzen. Die Kombination von Stromabnehmern und Batterietechnik scheint derzeit jedoch ein vielversprechender Ansatz zu sein, um den Schwerlastverkehr umweltfreundlicher zu gestalten. Vor allem dann, wenn sich ein solches System herstellerunabhängig nachrüsten lässt. Das sieht auch Gordon Witham so: „Im Projekt BEV Goes eHighway entwickeln wir ein Nachrüstkonzept, welches batterieelektrischen Serien-Lkw ermöglicht während der Fahrt an einer Oberleitung zu laden. Hierbei untersuchen wir die notwendigen Schnittstellen im Lkw, um eine herstellerübergreifende Lösung zu identifizieren. Dieses Konzept haben wir nun erstmalig an einem DAF XD Electric als Basisfahrzeug demonstriert.“Und auch für Logistikunternehmen könnte der Umstieg langfristig attraktiv werden. Elektro-Lkw sind günstiger im Unterhalt und verursachen weniger Betriebskosten als ihre dieselbetriebenen Kollegen, die irgendwann von E-Lkw letztlich komplett ersetzt werden. Zudem gibt es in vielen Ländern bereits Steuervorteile für emissionsarme Fahrzeuge, die den Umstieg zusätzlich erleichtern könnten.
.
Der Lkw der Zukunft – oder nur eine Übergangslösung?
Der Lkw der Zukunft – oder nur eine Übergangslösung?
Ob der Stromabnehmer tatsächlich die Zukunft des Schwerlastverkehrs ist oder nur eine Zwischenlösung auf dem Weg zu vollständig elektrifizierten Fahrzeugen, bleibt abzuwarten. Fakt ist, dass die Technologie bereits in ihrer heutigen Form vielversprechend ist und Antworten auf drängende Fragen der Branche gibt: Wie lassen sich die wachsenden Anforderungen des Güterverkehrs mit den Klimaschutzzielen in Einklang bringen?Die Entwicklung von Elektrofahrzeugen schreitet rasant voran, doch die Batterietechnologie steckt für den Einsatz in schweren Lkw noch in den Kinderschuhen. Hier bietet das Stromabnehmersystem einen eleganten Kompromiss: Es nutzt die vorhandene Infrastruktur und verbindet bewährte Technik mit modernen Antriebsformen. Der elektrifizierte Lkw mit Stromabnehmer ist vielleicht nicht die endgültige Lösung, aber ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.
Denn eines ist sicher: Die Zukunft des Straßenverkehrs wird zunehmend elektrisch sein – und der Lkw wird dabei keine Ausnahme machen.
Ihnen hat dieser Beitrag gefallen? Dann haben wir noch einen Lesetipp für Sie. An der Aachener Hochschule wird nicht nur am E-Lkw geforscht, sondern auch im Bereich autonomes Fahren. Was genau, lesen Sie im Beitrag Computer hinter dem Lenkrad.