Vom Feld zum Kraftwerk: Wie ZENAPA Brandenburg in die CO₂-neutrale Zukunft katapultiert
Brandenburg war lange das große, stille Bundesland. Kiefern, Seen, plattes Land. Viel Platz für Landwirtschaft, wenig Platz für große Geschichten. Doch genau das ändert sich jetzt – durch ein Projekt, das kaum jemand aussprechen kann, aber dessen Effekte weit über die Grenzen des Landes hinausstrahlen: ZENAPA. Wo früher Traktoren allein das Landschaftsbild prägten, wachsen heute Solarmodule über Möhrenfeldern. Neue Häuser stehen in Quartieren, die ihren eigenen Strom erzeugen, speichern und verbrauchen. Dörfer entwickeln sich zu Energie-Genossenschaften. Das alles nicht als Zukunftsvision – sondern schon jetzt.
ZENAPA ist nicht einfach ein Umweltprojekt, sondern eine Bauanleitung für den ländlichen Raum im 21. Jahrhundert. Energie, Natur und Wirtschaft gehen hier Hand in Hand – finanziert durch die EU, realisiert durch engagierte Gemeinden, Bauern und Wissenschaftler.
Vom EU-Papier zur Brandenburger Blaupause: Was ist ZENAPA?
Vom EU-Papier zur Brandenburger Blaupause: Was ist ZENAPA?
Hinter dem Kürzel ZENAPA verbirgt sich: Zero Emission Nature Protection Areas – ein sperriger Titel für ein ziemlich elegantes Vorhaben. 2016 gestartet, gehört das Projekt zu den sogenannten LIFE Integrated Projects der EU. Ziel: Regionen rund um Biosphärenreservate, Natur- und Nationalparks sollen bis spätestens 2050 klimaneutral wirtschaften – und dabei Biodiversität, Energie, Gebäude und Landwirtschaft in einem System denken. Der Clou: ZENAPA kombiniert Maßnahmen, die oft isoliert laufen. Statt nur Windräder aufzustellen oder Häuser zu dämmen, wird das gesamte regionale Gefüge in den Blick genommen. Energie wird auf Feldern erzeugt – und gleich dort verbraucht. Bauen wird nicht nur effizient, sondern regional. Statt Dämmstoffen aus China gibt’s Hanf aus Brandenburg.Im Zentrum steht eine Kernregion: das Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin. Ein UNESCO-Gebiet, das nicht nur Schutzfläche ist, sondern auch Experimentierfeld. Die dort gesammelten Erfahrungen sollen dann auf zwölf weitere Regionen übertragen werden – von Rheinland-Pfalz bis Luxemburg.
Der Anfang aller Energie: Strom aus dem Acker
Der Anfang aller Energie: Strom aus dem Acker
Brandenburgs Felder sind weit, oft monoton – und in heißen Sommern gnadenlos der Sonne ausgeliefert. Genau das macht sie zu idealen Standorten für sogenannte Agri-PV-Anlagen. Diese Technologie ist der Kern von ZENAPA: Es geht darum, Photovoltaikmodule auf landwirtschaftlich genutzten Flächen zu installieren – nicht statt, sondern über den Pflanzen. Das funktioniert, indem man die PV-Paneele auf Gestellen befestigt, die hoch genug sind, damit darunter Landwirtschaft weiter betrieben werden kann. Dabei entstehen mehrere Vorteile:Schatteneffekt: Gerade in heißen Sommern reduziert der teilverschattete Boden die Verdunstung und schützt sensible Kulturen wie Salate, Beeren oder Kräuter.
Doppelnutzung der Fläche: Auf derselben Fläche entstehen Lebensmittel und Strom – beides direkt für die Region.
Energieautarkie für Betriebe: Landwirte betreiben Melkanlagen, Bewässerungssysteme und Maschinen direkt mit eigenem Strom.
ZENAPA installiert diese Systeme nicht nur, sondern wertet sie auch wissenschaftlich aus – zusammen mit der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde (HNEE). Das Ziel: herauszufinden, wie viel Strom unter realen Bedingungen produziert wird und wie sich das Mikroklima unter den Paneelen auf die Ernte auswirkt.
Die Bauwende auf dem Dorf: Häuser als Kraftwerke
Die Bauwende auf dem Dorf: Häuser als Kraftwerke
ZENAPA endet nicht beim Strom. Ein weiteres Kernziel ist die Transformation des Bauens im ländlichen Raum. Statt Wärmedämmverbundsystemen aus fossilen Kunststoffen kommen regionale, nachhaltige Materialien zum Einsatz – kombiniert mit modernster Haustechnik. So entstehen Häuser, die:- mehr Energie erzeugen, als sie verbrauchen,
- aus Holz, Lehm, Zellulose oder Hanf bestehen,
- mit Wärmerückgewinnung, smarter Lüftung und Solarthermie ausgestattet sind.
Ein Musterquartier dieser Art entstand 2022 am Rand von Joachimsthal. Dort stehen sieben Einfamilienhäuser, die von lokalen Handwerksfirmen gebaut wurden – allesamt Plusenergiehäuser mit 30 bis 50 Prozent regionalem Materialeinsatz. Die Energie kommt von den Agri-PV-Anlagen der Umgebung. Die Häuser sind ans lokale Netz angebunden, Teil einer regionalen Genossenschaft – und damit weitgehend autark.
Wenn ganze Dörfer den Strom regeln: ZENAPA und die Smart-Village-Revolution
Wenn ganze Dörfer den Strom regeln: ZENAPA und die Smart-Village-Revolution
Die Energie-Transformation hört in Brandenburg nicht bei Plusenergiehäusern auf. Was ZENAPA besonders macht, ist der radikale Dorfansatz: ganze Gemeinden, die sich als energetische Einheit verstehen. Die sogenannte „Smart Village“-Strategie funktioniert dabei nicht über futuristische Technik allein, sondern durch intelligente Planung, gute Zusammenarbeit und regionale Energiezellen, die sich selbst verwalten.Ein Paradebeispiel ist der Ort Brodowin im Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin. Hier wurde die gesamte Straßenbeleuchtung auf LED umgestellt, der Kindergarten nutzt Solarthermie, und die Gemeinde verwaltet ein eigenes Nahwärmenetz. All das wäre ohne ZENAPA nicht möglich gewesen. Denn das Projekt stellt nicht nur Technik bereit, sondern begleitet den Aufbau solcher Strukturen mit Schulungen, Moderation und Fördermitteln.
Bildung statt Broschüren: Wie ZENAPA Energie greifbar macht
Ein oft unterschätzter Aspekt der Energiewende ist die Wissenslücke. Viele Menschen haben keine konkrete Vorstellung davon, wie ein Energiespeicher funktioniert, was ein Wechselrichter leistet oder wie viel Strom eine PV-Anlage im Februar liefert. ZENAPA setzt deshalb massiv auf Bildung – nicht abstrakt, sondern lebensnah. In den teilnehmenden Regionen gibt es regelmäßig Workshops, in denen Landwirte, Hausbesitzer oder Gemeinderäte lernen, wie man den Energiebedarf eines Gebäudes berechnet, welche Förderprogramme es gibt oder wie sich regionale Baustoffe sinnvoll einsetzen lassen. Kinder und Jugendliche entwickeln in Schulprojekten eigene Energiespar-Kampagnen, bauen Mini Solaranlagen oder messen den CO₂-Fußabdruck ihrer Schulküche.
Besonders erfolgreich sind die sogenannten Praxiswochen: Fünf Tage lang tauchen Interessierte in ein laufendes ZENAPA-Projekt ein, besuchen Baustellen, begleiten Techniker, diskutieren mit Architektinnen und Ingenieuren. Dabei entsteht nicht nur Verständnis, sondern echte Teilhabe – und das Bewusstsein, dass die Energiewende nicht von oben verordnet, sondern vor Ort gestaltet wird.
Wissenschaft, die direkt wirkt: ZENAPA als Reallabor
Was ZENAPA ebenfalls besonders macht: Es handelt sich nicht um ein Projekt nach Schema F, sondern um ein Reallabor. Das heißt, jede einzelne Maßnahme – vom bepflanzten Dach über die PV-Anlage auf dem Stall bis hin zum Speicher im Gemeindezentrum – wird wissenschaftlich begleitet, ausgewertet und weiterentwickelt. Die Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde, die Universität Trier und weitere Forschungsinstitute sind in das Projekt eingebunden.
So wird z. B. genau gemessen, wie sich die Bodenfeuchte unter Agri-PV-Anlagen im Jahresverlauf verändert. Welche Pflanzen unter den Modulen besser wachsen, welche schlechter. Wie sich die Biodiversität unter verschiedenen Montagesystemen entwickelt – oder wie sich bestimmte Speichertypen auf die Netzstabilität auswirken. All diese Daten fließen in Echtzeit in die Weiterentwicklung der Maßnahmen ein. Das Besondere: Diese Forschung passiert nicht hinter verschlossenen Türen, sondern ist öffentlich einsehbar. Bürger, Kommunen und andere Projektpartner können die Ergebnisse nutzen, um eigene Vorhaben anzupassen. Auf diese Weise wird aus ZENAPA nicht nur ein Einzelprojekt, sondern ein Baukasten für andere Regionen – wissenschaftlich fundiert und praxisbewährt.
Wenn Klimaschutz zur Wirtschaftsstrategie wird
Wenn Klimaschutz zur Wirtschaftsstrategie wird
Neben Natur- und Klimaschutz steht ein drittes Ziel im Zentrum von ZENAPA: die regionale Wertschöpfung. Denn viele ländliche Räume kämpfen mit Abwanderung, geringem Einkommen und fehlender Perspektive. ZENAPA zeigt, dass der Aufbau dezentraler Energiesysteme genau dort neue Jobs schafft – im Handwerk, bei Planung, Wartung, Bau und Energieverwaltung. So entstanden allein im Umfeld des Biosphärenreservats über 500 neue Arbeitsplätze – viele davon in kleinen und mittleren Betrieben. Zimmerleute, Elektrikerinnen, Solarteure, Energieberaterinnen – sie alle profitieren davon, dass Planung und Umsetzung bewusst lokal organisiert sind. Auch Architekturbüros, die sich auf nachhaltiges Bauen spezialisiert haben, berichten von vollen Auftragsbüchern.Und nicht zuletzt bleibt mehr Geld in der Region. Statt jährlich Millionenbeträge an externe Strom- und Wärmeanbieter zu überweisen, werden die Haushalte Teil eines internen Kreislaufs. Sie investieren einmal – in Speicher, PV-Anlage oder Quartiersnetz – und profitieren dauerhaft. Die Energiepreise bleiben stabil, die Versorgung sicher, die Abhängigkeit von volatilen Märkten sinkt.
Die Stolpersteine auf dem Weg – und wie man sie umgeht
Die Stolpersteine auf dem Weg – und wie man sie umgeht
Doch auch ZENAPA kennt seine Grenzen – zumindest temporär. Genehmigungen für Agri- PV sind oft langwierig, weil sie gleich mehrere Behörden betreffen: Naturschutz, Bauordnungsrecht, Landwirtschaft. Einige Projekte mussten monatelang auf Entscheidungen warten, obwohl sie technisch durchgeplant waren. Hinzu kommt die Herausforderung, unterschiedliche Systeme miteinander zu verknüpfen. Wärmepumpen, Solaranlagen, Batteriespeicher, Lüftungsanlagen – all das muss miteinander kommunizieren. Dafür braucht es Schnittstellen, Know-how und im besten Fall eine zentrale Steuerung. ZENAPA hat hier bereits eigene Plattformen entwickeln lassen, doch der Schulungsbedarf bleibt hoch.Und schließlich gibt es die mentalen Barrieren. „So haben wir das schon immer gemacht“ ist in manchen Dörfern ein harter Gegner. Veränderungen brauchen Vertrauen, Zeit und sichtbare Beispiele. ZENAPA hat deshalb viel Energie in Öffentlichkeitsarbeit investiert: Besichtigungstage, Nachbarschaftsfeste, Infoabende – kleine Events mit großer Wirkung. Denn nichts überzeugt mehr als ein funktionierendes Haus, das im Februar seine Heizung ausschließlich mit Sonnenstrom betreibt.
Vom Brandenburger Modell zur europäischen Bewegung
Vom Brandenburger Modell zur europäischen Bewegung
Was in Brandenburg begann, strahlt mittlerweile weit über die Landesgrenzen hinaus. ZENAPA war nie als rein lokales Projekt gedacht. Es sollte immer als Blaupause dienen – für Regionen, die ähnliche Herausforderungen, aber auch vergleichbare Potenziale haben. Inzwischen arbeiten auch Gebiete in Rheinland-Pfalz, Hessen, Niedersachsen und Luxemburg mit den ZENAPA-Strategien. Sie übertragen die Prinzipien auf ihre Gegebenheiten, adaptieren Agri-PV, entwickeln eigene Smart-Village-Konzepte und setzen ebenfalls auf regionale Baustoffe. So ist in der Vulkaneifel ein Netz aus Energie- Genossenschaften entstanden, das nach dem Modell der Schorfheide organisiert ist. In Luxemburg wurde ein kommunales Förderprogramm für energetisches Bauen aufgesetzt, das sich explizit auf Erkenntnisse aus ZENAPA bezieht.Der Clou: Die Regionen stehen nicht in Konkurrenz, sondern im Austausch. Jede bringt eigene Erfahrungen ein, teilt Fehler und Erfolge – ein europäisches Öko-Innovationsnetzwerk in Echtzeit.
Die EU-Kommission beobachtet das Projekt aufmerksam. Im Rahmen der Green Deal- Initiative werden ZENAPA-ähnliche Maßnahmen nun aktiv empfohlen – als Instrument für nachhaltige Regionalentwicklung. Besonders die Verbindung von Klimaschutz und Biodiversität, gepaart mit wirtschaftlicher Eigenständigkeit, gilt als Modell für die Umsetzung der „Just Transition“-Strategie in ländlichen Gebieten.
Vision 2050: Vom Reallabor zur Normalität
Vision 2050: Vom Reallabor zur Normalität
ZENAPA endet offiziell 2026 – doch die Vision reicht weiter. In den teilnehmenden Regionen laufen bereits Anschlussprojekte unter Titeln wie „ZENAPA Next“ oder „ZENAPA 2.0“. Die Ziele sind ambitioniert, aber greifbar: Bis 2050 sollen die Regionen vollständig klimaneutral wirtschaften.
Das bedeutet:
- 100 % Strom aus erneuerbaren Quellen – vorrangig aus Agri-PV, Windkraft und Biogas.
- Vollständige Wärmeversorgung durch Nahwärmenetze und Wärmepumpen.
- Ein Netz an Gebäuden, die mehr Energie erzeugen, als sie verbrauchen – inklusive Sanierungen im Altbestand.
- Kreislaufwirtschaft bei Baustoffen – Lehm, Holz, Zellulose statt Beton, Styropor und Plastik.
- Eine regionale Energieverwaltung, die nicht zentralistisch, sondern bürgernah funktioniert.
Was heute noch als innovativ gilt, soll in 25 Jahren Standard sein. Nicht durch Verbote oder Zwang, sondern weil es schlicht effizienter, günstiger und besser ist.
Die politische Dimension: Energieautonomie als Demokratieprojekt
Die politische Dimension: Energieautonomie als Demokratieprojekt
ZENAPA beweist, dass Klimaschutz nicht nur eine technische, sondern auch eine gesellschaftspolitische Aufgabe ist. In Zeiten, in denen Debatten über Energiepreise, Versorgungssicherheit und Transformation zunehmend polarisieren, setzt das Projekt ein Zeichen: Veränderung gelingt dort am besten, wo sie konkret und lokal verankert ist. Wenn eine Gemeinde ihre Energie selbst erzeugt, ist sie weniger abhängig von geopolitischen Schwankungen, von fossilen Importen oder von börsengesteuerten Strompreisen. Wenn sie diese Energie auch noch selbst verwaltet, entsteht ein Gefühl von Souveränität – ökonomisch wie politisch.
ZENAPA macht so aus passiven Konsumenten aktive Beteiligte. Die Dörfer, die einst auf Strukturförderung angewiesen waren, werden zu Reallaboren der Demokratie – durch Entscheidungsfreiheit, gemeinsame Planung und Verantwortung für Ressourcen. Es ist kein Zufall, dass die Bürgerbeteiligung in diesen Regionen steigt, dass neue Genossenschaften entstehen und junge Menschen sich einbringen. Energieautonomie wird zur Grundlage eines neuen Gemeinsinns.
Fazit: Eine Region schreibt Zukunft
Fazit: Eine Region schreibt Zukunft
Was bleibt nach fast zehn Jahren ZENAPA? Ein Landstrich, der sich selbst ernst nimmt. Der begriffen hat, dass Klimaschutz nicht bei Emissionszielen aufhört, sondern bei Baustoffen beginnt. Der Landwirtschaft und Energieerzeugung nicht mehr gegeneinander denkt, sondern gemeinsam – auf derselben Fläche, zur selben Zeit. Der zeigt, dass man auch auf dem Land smart sein kann – mit Technik, aber auch mit Haltung.
ZENAPA hat kein neues Brandenburg geschaffen. Aber es hat gezeigt, welches Brandenburg möglich ist – und was in vielen anderen Regionen Europas ebenfalls Realität werden kann. Das Projekt ist ein Vorbild, weil es auf dem Boden bleibt. Weil es Lösungen bietet, die machbar sind. Weil es Visionen formuliert, ohne sie als Dogma zu verkaufen. Und weil es in einem Land mit vielen Feldern, aber wenig Glamour das große Versprechen eingelöst hat: Zukunft ist, was man draus macht.