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Oldtimermuseum
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Oldtimer-Museum neu gedacht: Automobile Zeitreise im Pott

Marco Degenhardt trägt sein Herz auf der Zunge. Er schwärmt nicht nur für Autos mit fünf Zylindern, er hat eine Mission. Er und sein Team von der Halle 77 in Dortmund, einem privaten Oldtimer-Museum mit freiem Eintritt, retten Young- und Oldtimer vor dem Verwerter … dem Vergessen. Egal ob „Scheunenfund“ oder „Ebay-Kleinanzeigen-Schnäppchen“, speziell die automobilen Kinder der 70ziger und 80ziger Jahre bekommen hier eine zweite Chance. Nicht perfekt und makellos, aber mit ganz vielen Geschichten unter dem Blech. Ein Team und ein Oldtimer-Museum mit viel Leidenschaft, Spaß und manchen Verrücktheiten.

Achtung! Kamera läuft! Wenn Halle77-Chef Marco Degenhardt für den ersten Startversuch eines „Neuankömmlings“ wieder Bremsenreiniger in den Vergaser sprüht, weil mal wieder die Benzinleitung zum Tank streikt, dann stets unter genauer Beobachtung seines hauseigenen Kamerateams. Mittlerweile schauen ihm dann viele hunderttausend Fans verzückt über die Schulter, 425.000 Abonnenten können nicht irren. So viele Fans hat der YouTube-Kanal der Halle 77 in Dortmund. Sie alle warten beinahe täglich auf Neuigkeiten von Marco und seinem Team und werden nicht enttäuscht. Denn wenn die Ruhrpott-Jungs Hand an VW Golf, Opel Kadett und Ford Escort legen, dann wird es nie langweilig. „Ich weiß, dass viele der Oldtimer-Traditionalisten mit dem Kopf schütteln, was und wie wir es machen. Aber wir als Halle77-Familie blicken nun mal anders auf die alten Wegbegleiter“, erklärt Marco Degenhardt mit einem Lächeln im Gesicht. „Young- und Oldtimer sehen wir nicht als Wertanlage mit erwarteter hoher Rendite, die sorgsam aufbewahrt in klimatisierten Autoboxen stehen. Wer das möchte, soll das gerne so machen. Unsere Autos sollen wieder auf der Straße gesehen werden.“

 

Das Gefühl ist unbeschreiblich – immer wieder

Die Dortmunder haben ihr Herz an die Alltags-Fahrzeuge verloren. Autos, die vor 30, 40 Jahren in jeder Reihenhaussiedlung zu sehen waren. Die bezahlbaren, erreichbaren Autos. Kein Porsche 911, keine S-Klasse von Mercedes, kein Jaguar oder Ferrari. „Jeder kennt doch eine Geschichte zu einem Opel Ascona, einem Ford Sierra oder einem alten VW Passat“, erzählt Degenhardt. „Alles Autos, die in den Garagen oder an der Laterne vor dem Haus gestanden haben, gefahren von Millionen Menschen wie Du und ich.“ Der gelernte Kfz-Mechaniker kommt ins Schwärmen. „Ich liebe das Gefühl, wenn beispielsweise bei einem 1982er Ford Fiesta der Motor nach über 25 Jahren Standzeit wieder anspringt – natürlich mit gezogenem Choke.“ Dann kann der Chef des Oldtimer-Museums die erste Ausfahrt kaum erwarten.

Diese Begeisterung versprüht auch sein Team, wenn es vor laufender Kamera von Reparatur zu Reparatur eilt, wenn es sich mit viel Engagement und ungewöhnlichen Ideen den kleinen oder größeren Macken der Oldtimer entgegenwirft. Geht nicht, gibt’s nicht. Dieses Motto könnte hier erfunden worden sein. Bis in der Halle 77 ein Auto „aufgegeben“ wird, da muss es schon gaaaanz Dicke kommen. Hinzu kommt: Marco Degenhardt hat bisweilen nicht nur einen westfälischen Dickkopf, sondern vertraut bei manchem Oldtimer-Ankauf gerne seinem Bauchgefühl. Zur Freude seiner Fans. Und seine Mannschaft liebt ihn auch dafür – vom Verkauf der Fan-Artikel über das Werkstatt-Team bis zu den Multimedia-Jungs.

 

Zeitreise zum Anfassen

Viele der so geretteten Klassiker finden dann ihr neues Zuhause im Museum, jenseits von Werkstatt oder dem Leistungsprüfstand – der übrigens gerne von Oldtimer-Besitzern aus der ganzen Republik angesteuert wird. Hat mein Kadett 1.3 S noch die 75 PS unter der Haube? Hat der neue Sportluftfilter beim VW Scirocco tatsächlich die versprochenen 10 PS Mehrleistung gebracht? Was ist mit dem Drehmoment des Drei-Liter V6 beim alten 5er BMW? Dann treffen sich beim Leistungstest der gesamte männliche Vorstand des Polo-Fan-Clubs aus Nürnberg mit einem Familienvater aus Dresden, begleitet von Ehefrau und Nachwuchs im Maxi-Cosi-Kindersitz. Oder zwei „Best Ager“ aus dem ostfriesischen Norddeich fachsimpeln nach stundenlanger Anreise mit fast vierzig Jahre jüngeren, angehenden Kfz-Mechanikern aus Köln. Sie alle eint ihre Begeisterung und ihre Liebe für die automobilen Schätzchen.

In diesen Momenten wird die Halle77 für kurze Zeit zu einem Mekka mit Benzin in der Luft. Und es ist genau diese Atmosphäre, die auch den Besuch des Museums zu einem unvergesslichen Erlebnis werden lässt. Denn wer, ohne ins Portemonnaie greifen zu müssen, durch die Eingangstür tritt, sollte erst einmal tief einatmen. Schließlich laden die liebevoll arrangierten Young- und Oldtimer zum „Schnupperkurs“ ein. Altes Leder trifft auf Lackpolitur mit Citrusduft, wohlgeformtes Blech mit leichter Patina auf den Geruch von Bremsenreiniger an den Trommelbremsen, Benzindämpfe aus geöffneten Motorräumen auf das Duftbäumchen am Innenspiegel des tiefergelegten VW Polo.

Eintauchen in die Welt von Gestern

Und weiter geht die Reise. Vorbei an der schrillen Farbenwelt der Autos vergangener Jahrzehnte. Da steht der „Laubfrosch“ grüne VW Käfer vor dem weinroten Ford Fiesta, direkt daneben der weiße Golf der ersten Serie, Tür an Tür mit dem schwarzen Opel Manta, Filmheld und Lebensgefühl in einem Blechkleid. Wenige Meter entfernt der orange lackierte VW Polo (im Erstlack!), die weiße Chevrolet Corvette oder der pastellgrüne Opel Kadett C aus den Siebzigern, der so tief gelegt ist, dass er über keinen Gullideckel im Dortmunder Stadtgebiet fahren könnte. Und er könnte fahren! „Bis auf wenige Showcars, sind fast alle unsere Ausstellungsfahrzeuge in einem fahrbereiten Zustand.“ Eine Ehrensache für den Hallen-Chef. Außerdem möchte er sich jederzeit die Möglichkeit offenhalten, wenn es ihn juckt oder mal wieder ein Oldtimertreffen ansteht, schnell ins Lenkrad greifen zu können. „Wir haben auch noch viele weitere Oldtimer in unserem Außenlager und können so die Ausstellung immer wieder verändern.“ Marco Degenhardt verrät aber nicht, wo sich die Halle befindet. Er möchte keinen weiteren „Wallfahrtsort“ eröffnen, denn an manchen Samstagen stehen vor der Halle 77 ebenso viele Oldies der interessierten Besucher, wie in der Halle selbst. Ein echtes Zusammentreffen der Fans, in den Sommermonaten auch mit frisch gegrillter Ruhrpott-Bratwurst auf dem Hofgelände.

Doch nicht nur die vielen Young- und Oldtimer sind die Reise wert. Hier finden die Besucher auch die Gegenstände, die in den Boomzeiten der Fahrzeuge als Zubehör, Pflege- und Wartungsmittel oder schlicht als Werkstatt-Werkzeuge herhalten mussten. Darunter auch angestaubte Erste-Hilfe-Kästen, alte Lenkräder, Blechspielzeug, alte Zeitschriften und Reparaturanleitungen und vieles mehr sind authentische Zeitzeugen. Viele der Exponate stammen von Fans und Besuchern, gefunden in Garagen, auf Dachböden oder in Kellerräumen. Alles original und originell.

 

Fazit:

Wer die Halle 77 besucht, sollte Zeit mitbringen. Viel Zeit. Denn die Reise durch die Welt der Young- und Oldtimer macht Spaß und hält so manchen wehmütigen Moment bereit. Liebevoll normal, nicht in Hochglanz, aber ehrlich und authentisch. Das Oldtimer-Museum ist daher auch eine längere Anfahrt wert, stets mit dem Versprechen, Gleichgesinnte zum entspannten Fachsimplen zu treffen. Oldtimer zum Anfassen und zum Schwelgen in Erinnerungen an „die guten alten Zeiten ohne Servolenkung, ohne elektrische Fensterheber und ohne nervige Einpark-Piepser“. Hier erfüllt sich auf beste Art und Weise das „Klischee“ vom Ruhrpott und seinen bodenständigen Menschen. Daumen rauf und eine echte Empfehlung für einen schönen Tagesausflug mit Kind und Kegel.

 

Für den Fall, dass Sie jetzt direkt in Richtung Halle 77 losdüsen möchten, geben Sie diese Infos in Ihren Routenplaner ein:

Im Defdahl 12
44141 Dortmund


Das Museum ist in der Regel wie folgt geöffnet:
Mittwoch–Freitag: 10:00–18:00 Uhr
Samstag: 10:00–15:00 Uhr
sonntags bis dienstags geschlossen

Aktuelle Infos finden Sie immer auf der Webseite des Musuems: www.halle-77.de

 

Wenn Sie schon in Dortmund sind, warum dann nicht noch einen Abstecher nach Münster wagen?
Warum Münster und das Umland immer eine Reise wert sind, erfahren Sie in unserem Bericht über die Region, den Sie hier finden.

Oldtimer-Museum neu gedacht: Automobile Zeitreise im Pott
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