Mobilität & Verkehr
25.09.2023
Artikel zum Hören 09:10 Min.
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Die Wisch-Wisch-Revolution

Haben Sie sich schon einmal durch eine pechschwarze, regnerische Nacht gekämpft, während unzählige Regentropfen mit unwiderstehlicher Kraft auf Ihre Windschutzscheibe prasseln und sie in ein unberechenbares, impressionistisches Meisterwerk verwandeln? Haben Sie schon einmal den fast hypnotischen Tanz des Scheibenwischers beobachtet, der unermüdlich das nasse Durcheinander von Ihrer Sicht fegt, damit Sie weiter durch die Dunkelheit navigieren können? Er ist eine einfache Erfindung, die wir oft übersehen – der Scheibenwischer. Er ist zu einem unverzichtbaren Bestandteil jedes Fahrzeugs geworden, ohne den das Autofahren in bestimmten Situationen fast unmöglich wäre. Es ist dieses unbekannte Wunderwerk der modernen Technik, das unsere Aufmerksamkeit verdient. Doch wie kam es zu diesem Wunderwerk der modernen Technik? Schnallen Sie sich an, liebe Leserinnen und Leser, denn wir begeben uns auf eine abenteuerliche Reise in die Vergangenheit!

Unsere Reise führt uns ins Jahr 1903, in eine Zeit, in der die Atmosphäre von der Spannung des Neuen und dem Reiz des Unbekannten geprägt war. Stellen Sie sich eine Welt vor, in der Damen in schimmernden Korsetts und mit spitzenbesetzten Sonnenschirmen elegant über die gepflasterten Straßen schwebten. Der Soundtrack des Lebens war eine Symphonie aus Hufgeklapper, dem fröhlichen Läuten der Straßenbahnglocken und dem fröhlichen Geschwätz der Menschenmenge.

Die Straßen jener Zeit stellten jedoch eine eigene Herausforderung dar: Sie waren weit entfernt von den asphaltierten Autobahnen, die wir heute kennen. Damalige Straßen waren mit Schlamm und Pfützen übersät, eine Schlammfalle, die nur darauf wartete, unvorsichtige Fußgänger und Kutschen zu verschlingen. Und wenn der Regen einsetzte, war es, als ob der Himmel selbst sich in den Kampf einmischte und die Straßen in unüberwindbare Flüsse verwandelte.

Eine Kutschenfahrt mit Folgen

Eine Kutschenfahrt mit Folgen

Inmitten dieses chaotischen Szenarios sehen wir eine unerschrockene Frau namens Mary Anderson. Sie fährt mit dem Pferde-Bus durch das sturmgepeitschte New York. Der Regen prasselt auf die Dächer, verwandelt die Straßen in spiegelnde Bäche und erschwert die Sicht durch die Windschutzscheibe. Der arme Busfahrer, halb unter freiem Himmel und den Naturgewalten ausgeliefert, führt einen ständigen Kampf gegen die Elemente. Immer wieder hält er an, steigt aus und wagt sich in den eisigen Regen, um die Windschutzscheibe mit der Hand abzuwischen, bevor er wieder in den vermeintlichen Schutz des Busses klettert und seine windgepeitschte Reise fortsetzt.

Mary Anderson beobachtet dieses Szenario und denkt sich: „Es muss einen besseren Weg geben, diese Herausforderung zu meistern.“ Und so erfand sie, mit dem Geist der Innovation in ihren Augen, den mechanischen Scheibenwischer. Es ist eine Idee – der Fahrer dreht eine Kurbel, die den Scheibenwischer beweg. Aber es ist auch eine Idee, die mit den damaligen Erwartungen an eine Frau bricht – schließlich ist es nicht üblich, dass eine Frau technische Lösungen für solch praktische Probleme anbietet. Doch Mary lässt sich nicht beirren. Sie nimmt die Herausforderung an und revolutioniert die Art und Weise, wie wir heute Autofahren bei schlechtem Wetter erleben.

Wer braucht schon einen Scheibenwischer?

Wer braucht schon einen Scheibenwischer?

Jetzt kommt die Wende in unserer Geschichte! Mary Anderson, die unermüdliche Erfinderin, ließ 1903 ihren Scheibenwischer patentieren. Doch in einer Zeit, in der die Automobilindustrie noch in den Kinderschuhen steckte und Autos eher als Luxusgüter galten, schien ihre revolutionäre Idee zu fortschrittlich. Die Ironie? Ihre geniale Erfindung wurde von der Autoindustrie ignoriert. Man stelle sich die Szene vor – Automanager, die Zigarre rauchend in ihren Ledersesseln lehnten, den Kopf schüttelten und fragten: „Wer braucht schon eine saubere Windschutzscheibe?“

Die Antwort lautete: „Jeder, der ein Auto fährt!“ Aber es sollte noch bis 1916 dauern, bis sich diese einfache Wahrheit in den Köpfen der Automobilindustrie verankerte. Erst als das Automobil zum Massenprodukt wurde, erkannte man den unschätzbaren Wert von Marys Erfindung. Der Scheibenwischer trat schließlich seinen Siegeszug in die Autos der Welt an und wurde zur Standardausrüstung, zu einem unverzichtbaren Detail, ohne das wir uns heute das Autofahren nicht mehr vorstellen können.

Doch wer glaubt, dass die Geschichte damit zu Ende ist, hat die Rechnung ohne die weibliche Innovationskraft gemacht! Nur ein Jahr später, 1917, war es wieder eine Frau, die den Weg der Innovation beschritt. Charlotte Bridgwood, die Mutter der berühmten Schauspielerin Florence Lawrence, erfand den ersten automatischen Scheibenwischer. Sie nannte ihn „Electric Storm Windshield Cleaner“. Der Name klingt wie aus einem James-Bond-Film und der Scheibenwischer war die ultimative Lösung für alle, die eine saubere Windschutzscheibe brauchten. Und zwar ohne den Wischer selbst zu bewegen. Er war nicht erneut ein technischer Durchbruch, vorangetrieben von einer Frau.

Die Geschichte des Scheibenwischers ist eine Achterbahnfahrt des Fortschritts, geprägt von kühnen Innovationen und herben Rückschlägen. Nach all den Durchbrüchen unserer mutigen Erfinderinnen dauerte es tatsächlich bis in die Swinging Sixties, bis die nächste große Verbesserung kam – die Einführung der Intervallschaltung. Man stelle sich vor: Während die Beatles die Welt eroberten und der erste Mensch den Mond betrat, lernten unsere Autos endlich, ihre Scheibenwischer in regelmäßigen Abständen auszulösen. Ein kleiner Schritt für die Menschheit, ein großer Schritt für den Komfort im Auto!

David gegen Goliath

David gegen Goliath

In der pulsierenden Ära der 1960er Jahre, als der Sound der Beatles, der Geist von Love and Peace und die rebellische Energie des Rock’n’Roll die Welt erschütterten, braute sich in der Welt der Automobiltechnik ein gewaltiger Sturm zusammen. Robert Kearns, ein amerikanischer Ingenieur, befand sich unerwartet im Auge dieses Sturms. Kearns, ein Mann mit kreativem Geist und einer Leidenschaft für Verbesserungen, brachte einen Hauch von Natur in die Welt der Maschinen. Er entwickelte die Intervallschaltung für Scheibenwischer, die die Funktion des menschlichen Augenlids auf unsere Autos übertrug – eine kurze Pause zwischen jedem Wischvorgang, um die Sicht bei weniger starkem Regen zu optimieren.

Doch diese bahnbrechende Erfindung löste einen Gegenwind aus, mit dem Kearns nicht gerechnet hatte. Sein David-gegen-Goliath-Kampf begann, als der Autogigant Ford seine patentierte Technologie ohne Erlaubnis oder Lizenzgebühren nutzte. Als leidenschaftlicher und eigenwilliger Erfinder war Kearns entschlossen, seine Rechte zu verteidigen. Er fand sich in einem langen und zermürbenden Rechtsstreit wieder, der mehr war als ein Kampf um Patentrechte – es war ein Kampf um die Anerkennung des Einzelnen gegen die Macht der großen Unternehmen. Und es war ein langwieriger Kampf, der an Kearns Nerven und finanziellen Ressourcen zehrte. Doch sein Durchhaltevermögen zahlte sich aus. Nach jahrelangem Rechtsstreit, der in den 1970er und 1980er Jahren vor Gericht ausgetragen wurde, setzte sich Kearns schließlich gegen Ford durch und erhielt eine beträchtliche Entschädigung. Der einsame Erfinder hatte den großen Autohersteller besiegt und der Welt gezeigt, dass kreative Köpfe und Erfinder, und seien sie noch so klein, nicht ignoriert oder übergangen werden sollten.

Heute unverzichtbar

Heute unverzichtbar

Die Geschichte des Scheibenwischers ist eine spannende Reise mit Höhen und Tiefen, glänzenden Triumphen und schmerzlichen Niederlagen. Doch durch alle Kämpfe und Rückschläge hindurch hat sich dieses einfache Gerät von einer einfachen, mit Muskelkraft betriebenen Handkurbel zu einem Paradebeispiel moderner Technik entwickelt. Heute ist der Scheibenwischer eine wahre Hightech-Wunderwaffe, die uns bei jedem Wetter hilft, sicher ans Ziel zu kommen.

In unseren Autos haben Sensoren das Kommando übernommen, die so feinfühlig und aufmerksam sind, dass sie selbst kleinste Regentropfen auf der Windschutzscheibe erkennen. Mit der Präzision eines erfahrenen Fahrers aktivieren sie automatisch den Scheibenwischer und sorgen dafür, dass wir auch bei strömendem Regen den Durchblick behalten. Jedes Mal, wenn wir im Auto sitzen und der Himmel seine Schleusen öffnet, vollzieht sich diese stille Revolution. Ein kleines Wunder der modernen Technik, das uns oft erst auf der regennassen Autobahn bewusst wird.

Der Scheibenwischer erinnert uns daran, dass sich Fortschritt oft nicht in revolutionären Sprüngen vollzieht, sondern in kleinen, aber stetigen Schritten. Und manchmal braucht es eine verregnete Fahrt durch die nächtliche Stadt, die auf der nassen Fahrbahn tanzenden Straßenlaternen und den hypnotischen Rhythmus des Scheibenwischers, um uns bewusst zu machen, wie weit wir auf dieser Reise des technischen Fortschritts schon gekommen sind.

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